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WIR SEHEN UNS IN NANGIJALA

Eine phantastische Reise in die Welt von ASTRID LINDGREN und den BRÜDERN LÖWENHERZ

Manchmal sind das Glück und die Trauer eng miteinander verbunden. Und auch die Angst und der Mut liegen oft nah zusammen. Wir Menschen müssen in vielen Fällen Entscheidungen treffen, die für uns nicht immer leicht sind.

Aber da antwortete mir Jonathan, es gebe Dinge, die man tun müsse, selbst wenn es gefährlich sei. „Aber warum bloß?“ fragte ich. „Weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck“, erwiderte er.

Die reale Welt konfrontiert uns mit Problemen, zu der wir an manchen Tagen den richtigen Schlüssel suchen. Aber in der Phantasie dürfen wir Geschichten miterleben, die uns das Herz öffnen und so viel Trost und Liebe spenden, damit wir gestärkt und mutig weiter durchs Leben wandern können …

Und da erzählte Jonathan mir von Nangijalas beiden grünen Tälern, die so schön in Nangijalas Bergen liegen, dem Kirschtal und dem Heckenrosental. „Dort ist noch die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen“, sagte er. Wenn man dort hinkomme, erlebe man von früh bis spät und sogar nachts Abenteuer.

Natürlich wissen wir alle, dass die Phantasie nicht alle Wunden heilen kann. Astrid Lindgren hat aber mit ihrem Buch DIE BRÜDER LÖWENHERZ mit dafür gesorgt, dass besonders Fragen von Kindern zum Tod eine neue Dimension erhalten haben…

Vor über 25 Jahren habe ich eine Ausstellung über Astrid Lindgren ins Leben gerufen, die schon über sechzig Mal in Deutschland gezeigt worden ist. Außerdem hatte ich das Glück, die berühmte schwedische Schriftstellerin persönlich kennenzulernen. Für die STIFTUNG HOSPIZDIENST OLDENBURG wird nun eine extra neue Ausstellungs-Variante, in der die Autorin und besonders das 1973 entstandene Jugendbuch die BRÜDER LÖWENHERZ im Mittelpunkt des Betrachtens stehen, ins Leben gerufen…

Als Astrid Lindgren im Januar 2002 im Alter von 94 Jahren gestorben ist, verabschiedete die Tageszeitung AFTONBLADET sie in einer Sonderausgabe mit den Worten WIR SEHEN UNS IN NANGIJALA.

1974 wurde in den deutschen großen Tages- und Wochenzeitungen die Diskussionen weiter geführt, die ein Jahr zuvor mit dem Erscheinen der schwedischen Löwenherz-Ausgabe begonnen hatte. Doch anders als in Schweden waren die deutschen Kinderbuchkritikerinnen und -kritiker vorbereitet und konnten sich aus einer sicheren Distanz viel differenzierter dem neuen Buch von Astrid Lindgren widmen.

Sybil Gräfin Schönfeldt war die erste, die sich am 22. März in der ZEIT auf die Seite der „besonders leisen und unauffälligen Person“ gestellt hatte. Ihr Beitrag mit dem Titel DIE HEXE AUS DER HEILEN WELT nahm die Kritik auf und zerlegte sie scheibchenweise in ihre Einzelteile.

Was für ein Buch ist es, das die Männer in Schweden so aus der Fassung bringt, dass sie Astrid Lindgren mit mittelalterlichen Atavismus zur Hexe erklären, klassischer erster Schritt zur Diffamierung derer, gegen die man sich mit keinem anderen Mittel zu wehren vermag?

Am Ende ihrer Ausführungen siegen bei ihr wie bei Astrid Lindgren nicht die Erwachsenen, sondern die Kinder, die diese Geschichte lieben und nicht genug davon bekommen können.

Denn hier ist eine Frau, die unbeirrt an die Kinder denkt, für die sie schreibt, und die genau weiß, was sie brauchen …

Astrid Lindgren hat selbst über das Buch Folgendes gesagt:

Ein Buch kann auf verschiedene Wege gelesen werden, das habe ich immer gewusst, aber nie ist es mir so klar geworden wie nach dem Erscheinen der BRÜDER LÖWENHERZ. Besonders auffallend ist es, wenn Kinder und Erwachsene dasselbe Buch lesen. DIE BRÜDER LÖWENHERZ, gelesen von einem Erwachsenen, sind etwas anderes als DIE BRÜDER LÖWENHERZ, gelesen von einem Kind. (…)

Ein erwachsener Leser hält es vielleicht für ein schreckliches und trauriges Buch, das nur von Tod und Elend handelt.

Aber ein Kind findet das nicht. Kinder lesen das Buch als die spannende Abenteuergeschichte von zwei Brüder, die sich über die Maßen liebhaben und nur dann glücklich sind, wenn sie zusammen sein können, egal, was geschieht. Und die Kinder schreiben an mich und danken mir dafür, dass die Geschichten ein so glückliches Ende hat.

Aber wie steht es mit mir selber, wie lese ich das Buch? Ich habe mir noch so viel Kindheit bewahrt, dass ich es wie ein Kind lesen kann, und dann denke ich:

Es ist doch gut, dass beide, Jonathan und Krümel, nach Nangijala kommen und dass sie dort alle schlimmen Abenteuer glücklich überstehen und schließlich nach Nangilima, und bestimmt haben sie es dort wunderbar.

Doch der Erwachsene in mir denkt etwas so:

Vielleicht war es so, dass Krümel, um nach Jonathans Tod weiterleben zu können, ins Reich der der Phantasie fliehen und sich zum Trost alle Abenteuer in Nangijala ausdenken musste? Vielleicht stirbt er erst auf der allerletzten Seite des Buches, und gar nicht in Nangijala, sondern daheim in seiner armseligen Küche?

Aber wenn ich ein Kinderbuch lese, möchte ich lieber ein Kind sein, und deshalb ziehe ich es vor, meinem Erwachsenen-Ich zu misstrauen …

Astrid Lindgren erzählt den Anfang der Geschichte:

Das Buch handelt von zwei Brüdern, Jonathan und Karl, 13 und 10 Jahre alt. Karl, von Jonathan Krümel genannt, weiß, dass er bald sterben muss. Jonathan weiß es auch, und um seinen kleinen Bruder zu trösten, erzählt er ihm vom Land Nangijala, wohin man kommt, wenn man gestorben ist.

In Nangijala ist noch die Zeit der Sagen und Abenteuer, und dort wird es dir gefallen. Denn dort kannst du von früh bis spät und sogar nachts Abenteuer erleben.

Doch nun ergibt es sich, dass Jonathan zuerst stirbt. Er kommt bei einer Feuersbrunst um, als er mit seinem kleinen Bruder auf dem Rücken aus dem Fenster springt und ihn dadurch rettet.

Weine nicht, Krümel, wir sehen uns in Nangijala wieder …

Und nach einiger Zeit kommt auch Krümel nach Nangijala, und die Brüder fallen sich jubend in die Arme.

Herzlich willkommen!

Es ist für mich eine große Ehre, hier in der Haareneschstraße im Haus der STIFTUNG HOSPIZDIENST eine neue Ausstellung über die BRÜDER LÖWENHERZ und über Astrid Lindgren zeigen zu dürfen.

Die Haareneschstraße spielte in meinem Leben immer ein große Rolle. Hier habe ich zum ersten Mal Mitte der 1970er Jahre auf dem großen Rasenplatz hinter der OTB-Halle Handball auf einem Kleinfeldturnier gespielt.

Das ganze Viertel mit Botanischem Garten und natürlich dem legendären Polizei-Freibad mit Bademeister Helmut Knocke war und ist für mich immer etwas Besonderes gewesen.

Und ganz in der Nähe habe ich 1997 in der Grundschule Haarentor meine Astrid-Lindgren-Ausstellung zum ersten Mal gezeigt.

Aber wie oft ich an diesem Gebäude, in dem jetzt die Ausstellung stattfinden wird, einfach so vorbeigefahren bin, weiß ich nicht. Wenn meine Nachbarin Meike mich nicht vor einem Jahr dazu animiert hätte, dort auch einmal etwas zu machen, wüsste ich wahrscheinlich immer noch nicht, was hier wunderbare Menschen für eine wertvolle Arbeit leisten.

Ich wünsche allen Besucherinnen und Besuchern eine schöne Zeit beim Betrachten und Träumen, beim Lesen, Hören und Versinken und hoffe, dass alle Gäste viel Freude dabei haben …

Herzstücke der Ausstellung sind die Originalillustrationen von Ilon Wikland und Katrin Engelking und neben der vielfältigen Präsentation des Buches durch Zeitungskritiken natürlich Hörspielplatten und Kassetten, die live und in Farbe aufgelegt und angehört werden können …

Matthias Blum